Eine Geige aus Keramik?

Diese Frage drängt sich auf, wenn im Rahmen einer Keramikausstellung eine Violine gezeigt wird.
Die Antwort mag verblüffend sein, aber tatsächlich wurde in der Vergangenheit - abgesehen von Dekorationsobjekten - immer wieder versucht, ein bespielbares Instrument aus Tonware herzustellen. Sicherlich stellte man sich auf Grund der besonderen Materialeigenschaften vor, ein Instrument mit besonderem Klang zu erschaffen.

Alle bekannten, in wenigen Literaturquellen erwähnten, Versuche der Herstellung eines derartigen Instrumentes wurden allerdings über kurz oder lang eingestellt, da offensichtlich der erwartete Klangcharakter nicht erreichbar war. Andererseits mag auch die geringe Stabilität und Empfindlichkeit des keramischen Materials eine Rolle gespielt haben.
Im „Real-Lexikon der Musikinstrumente“ von Curt Sachs aus dem Jahre 1913 finden sich aufgelistet einige Beispiele:

  • 1705 / 1710 Violine aus Delfter Fayence mit blau-weißer Bemalung - heute im Bestand des Rijksmuseum Amsterdam

  • 1830 ist eine „Tongeige“ in der Königlichen Akademie der Künste Berlin zu sehen, die der Potsdammer Ofenfabrikant Mühlenhoff hergestellt hat


  • nach 1880 befasste sich der Tonwarenfabrikant Ludwig Rohrmann in Krauschwitz in der Oberlausitz mit der Herstellung von Tongeigen Er stellte seine Versuche Ende des 19. Jahrhunderts ein.


Die letzte Rohrmannsche Geige?

Ludwig Rohrmann soll wohl im Laufe der Zeit fünfundzwanzig Geigen aus Keramik hergestellt haben. Seit 1910 befindet sich ein Exemplar im Bestand des Musikinstrumenten-Museums in Markneukirchen. Über weitere erhaltene Stücke ist nichts bekannt.

Rohrmann beantragte ein Patent für seine Erfindung. Im Jahre 1887 patentierte das Kaiserliche Patentamt unter der Nummer 43297 die Rohrmannsche „Concert-Violine“.
Dem nun über 100 Jahre alten Objekt aus Markneukirchen war die lange Geschichte anzusehen und wurde mir deshalb im Juni 2019 in Vorbereitung einer großen Keramikausstellung im Neuen Schloss in Bad Muskau zur Restaurierung übergeben.

Die Keramik-Violine aus dem Musikinstrumentenmuseum Markneukirchen

Die Geige besteht aus einem Keramikkorpus, auf dem ein hölzerner Steg der Marke “TOURTE” angebracht ist und einem Geigenhals aus Ahornholz, der mit dem Korpus verklebt wurde.
Der Korpus wurde aus einer sehr feinen, porösen, unglasierten Keramik gefertigt und zeichnet sich nach der Patentschrift „.. in der hiernach beschriebenen Anordnung der beiden Stimmbalken C und D …, und den hiermit in Verbindung stehenden Verdünnungen der Oberwand, sowie der Stellung und Lage dieser Stimmbalken und der darüber stehenden Stegfüße…“ aus. Die äußere Gestalt der Rohrmanschen Violine entspricht den herkömmlichen, aus Holz gefertigten, Instrumenten dieser Gattung.
In einem Beitrag der Thonindustrie-Zeitung vom 01. Januar 1888 wird unter der Überschrift „Geigen aus Thon“ auf Seite 1 zur Keramikmasse, aus der der Korpus gefertigt wurde mitgeteilt, dass ein "...Gemisch verschiedener Tonmaterialien und Infusionserde…“ verwendet wurde. Bei der so genannten Infusionserde handelte es sich um Diatomeenerde (auch Kieselgur, Tripel, ...).
Der Saitenhalter besteht aus schwarz gefärbtem Holz mit Einlegearbeiten (Perlmutt?) und Bast und ist mit einem Knopf in einem Loch im unteren Bereich der Zarge des Instrumentes befestigt.


Maße und Gewicht:
Länge 61 cm
Breite 21 cm
Höhe incl. Steg 10 cm
Gewicht 857 g (nach der Restaurierung)

Patentschrift Bild

Zustand der Geige vor der Restaurierung

Der allgemeine Zustand der Geige lässt sich mit „befriedigend“ bezeichnen. Das Objekt zeigt diverse Verunreinigungen sowie starke Schleifspuren auf dem gesamten Keramikkorpus. Der Sitz des Steges ist mit Bleistift gekennzeichnet.
Seitlich auf der Zarge befindet sich zwei mal die Zahl „20“ ( wahrscheinlich mit Bleistift aufgebracht).
Im Bereich der Verklebung des Geigenhalses mit dem Keramikkörper befinden sich Altrestaurierungen (Klebung von Bruchstücken). Die Keramik im Bereich der Schwalbenschwanzver- bindung ist gebrochen und notdürftig mit Klebestreifen fixiert. Die Klebestreifen haben sich teilweise gelöst, sind sehr hart und unflexibel.


geige links-vr
geige vorn-vr
geige rechts-vr
geige hinten-vr

Durchführung der restauratorischen Maßnahmen

Für die Bearbeitung des Objektes stand auf Grund der Ausstellungseröffnung in Bad Muskau nur ein sehr begrenzter Zeitrahmen von etwa sieben Wochen zur Verfügung.

Demontage

Saitenhalterung, Saiten und Steg wurden demontiert und gereinigt. Dabei zeigte sich, dass insbesondere die E-Saite im Bereich der Stegauflage und dem Obersattel eine faserige Oberfläche aufweist.

korpus unten
saitenhalterung
steg

Abnahme von Altrestaurierungen und der Verklebung des Geigenhalses

Die Klebestreifen, mit denen die Bruchbereiche fixiert waren, haben sich auf Grund ihres Alters stark verändert und ließen sich nicht einfach lösen.Getestet wurde deren Lösbarkeit mit folgenden Lösungsmitteln, aber leider ohne Erfolg:

• Spiritus
• Isopropanol
• Aceton
• Ethylacetat
• Wasser, dest.
Von einem Test mit Terpentinersatz wurde von vorn herein Abstand genommen, da die Gefahr einer zu starken Tränkung der porösen Keramik bestand, welche unter Umständen negative Auswirkungen auf die spätere Klebung haben könnte.
Auf Grund dieses Befundes wurden die Klebestreifen mit partiellen Warmlufteinsatz behandelt und konnten mit Skalpell und Pinzette vorsichtig abgenommen werden. Dadurch ließ sich nun auch der Geigenhals vom Korpus trennen.
Die verwendeten Klebestreifen beschädigten im Laufe der Zeit die Schellack-Oberfläche am Stock des Geigenhalses sehr stark.


hals korpus
korpus klebestreifen
hals geloest
halsansatz

Keramikfragmente werden üblicherweise mit Klebern auf Lösungsmittelbasis - in sehr seltenen Fällen auch mit Epoxydharz - verklebt, so dass davon ausgegangen werden konnte, dass die vorliegende Verklebung mit Aceton oder Isopropanol lösbar sein dürfte. Entsprechende Tests ergaben aber kein positives Ergebnis. Erst durch den Einsatz von Wasser konnten Anzeichen einer Lösbarkeit festgestellt werden.
Deshalb wurde der Keramikkorpus vollständig in warmes, destilliertes Wasser eingelegt. Nach etwa 15 Minuten lösten sich alle verklebten Fragmente und konnten so gereinigt werden. Ein kleines, offensichtlich ebenfalls verklebtes, Stück am linken F-Loch löste sich während der Wässerung.

Keramikscherben an der Verbindungsstelle des Geigenhalses lösten sich in gleicher Weise. Dazu wurde der Stock des Geigenhalses partiell in warmes destilliertes Wasser gehangen.

Am Korpus zeigten sich zwei Sprünge, die aber nach der Lösung der alten Klebung in Abhängigkeit des Lichteinfalls kaum zu sehen waren.
Nach der Abnahme der alten Restaurierungen waren der Keramikkörper und die Fragmente sehr stark mit Wasser getränkt, so dass sich eine längere Lufttrocknungsphase anschloss.


wasswebad
hals wasserbad
nach abnahme

Planung von Klebung, Ergänzung und Retusche

  1. Verklebung der Sprünge und Fragmente mit Dispersionskleber “Kleiberit wasserlöslich“


  2. Ergänzung mit einer Masse auf der Bindemittelbasis Paraloid B72 / Ethylacetat / Aceton und den Füllstoffen Schamotte < 2mm (weiß und rötlich), Diatomenerde und Pigmenten


  3. Partielle Retusche mit Pigmenten auf Bindemittelbasis Paraloid B72 / Ethylacetat / Aceton


  4. Herstellung eines Ersatzblattes für den Stock am Geigenhals aus Ahornholz, welches mit wässriger Mahagonibeize und Schellack oberflächenbearbeitet wurde


  5. Verklebung des Geigenhalses und des Blattes mit dem Keramikkorpus unter Verwendung von Hautleim


Ausführung von Klebung, Ergänzung, Retusche und Montage

Fixierung der beiden Sprünge

Zu Beginn wurden die beiden Sprünge auf der Korpusvorderseite mit stark verdünntem Dispersionskleber infiltriert und auf der Innenseite mit einer Klebstoffbrücke fixiert. Gleichzeitig erfolgte die Verlebung des kleinen Fragmentes, welches sich am linken F-Loch gelöst hatte.

Verklebung der Scherben

Für die weitere Verklebung der Fragmente in Stück-für-Stück-Methode wurde die Reihenfolge festgelegt. Während der Verklebung wurde teilweise mit Trockenfixierung von Fragmenten gearbeitet, um die Passgenauigkeit der Verklebung zu garantieren.
Ein letztes Bruchstück wurde erst nach der Ausführung der Ergänzung der großen Fehlstelle verklebt.

sprungklebung
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klebung erg

Ergänzung

Die große Fehlstelle an der Zarge neben der Aussparung des Schwalbenschwanzes wurde mit getränktem Seidenpapier hinterlegt und anschließend verklebt. Hierzu eignete sich eine Lösung von Paraloid B72 gelöst in Ethylacetat.

Nach der Trocknung des hinterklebten Seidenpapieres konnte die Fehlstelle grob mit einer Masse aus Schamotte und Paraloid B72-Lösung ausgefüllt werden. Danach erfolgte der Auftrag einer feineren Masse auf gleicher Bindemittelbasis, diesmal mit Diatomenerde und Pigmenten zur Angleichung der Fehlstelle an die angrenzenden Keramikbereiche.

Die Ergänzungen der kleineren Abplatzungen an den Bruchkanten erfolgte mit der oben beschriebenen feinen Masse.

Anfertigung eines Blattes und Verklebung des Halses mit dem Korpus

Herstellung des fehlenden Blattes für den Stock des Geigenhalses erfolgte gemäß Abstimmung mit dem Eigentümer des Objektes. Die sichtbare Oberfläche wurde mit wässriger Mahagonibeize im Farbton des Stockes gebeizt und mit Schellack beschichtet.
Nach der Trocknung des vorbereiteten Blattes erfolgte die Verklebung des Geigenhalses und des Blattes mit Hautleim am Keramikkorpus. Hierbei wurde der Abstand der Oberfläche der Griffbrettverlängerung am Steg zur Decke von ca. 27mm beachtet und eingehalten.


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Montage der Saiten

Nach der Trocknung der Montageverleimung von Korpus und Hals wurde der Untersattel mit Knopf und Saitenhalter angebracht. Die Saiten wurden eingezogen und der Steg an der markierten Stelle aufgestellt. Um den Steg zu stabilisieren und am Platz zu halten wurden die Saiten nur gering gespannt.

Ungeachtet dessen stellte sich nach einem Tag heraus, dass die E-Saite in der Nähe des Obersattels gerissen war. Da die präsentationsgerechte Wiederherstellung und nicht die Bespielbarkeit im Vordergrund der restauratorischen Bearbeitung stand, wurde die E-Saite an der Rißstelle mit Epoxydharz Hxtal NYL-1 geklebt, so dass eine normale Nutzung für Ausstellungszwecke gegeben ist.

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Die „Thon-Geige“ von Ludwig Rohrmann ist technisch gesehen ein interessanter Versuch, bei einem Streichinstrument die beiden Werkstoffe Keramik und Holz zu vereinen. Dass eine poröse Keramik für dieses Vorhaben ungeeignet erscheint, hat Rohrmann wohl selbst feststellen müssen, denn er beendete die Produktion seiner patentierten Geige recht schnell.
Der Klang des Instrumentes wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht konstant sein, da die Poren der Keramik mehr oder weniger Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen, wodurch sich die Resonanz ändern kann.

Die Bruchfestigkeit der Keramik ist verhältnismäßig gering. Besonders an der Verbindungsstelle von Geigenhals und Korpus ist während des Spieles mit hohen Scheerkräften zu rechnen. Darüber hinaus muss auch beachtet werden, dass der Keramikkorpus auf Grund seiner Formgestaltung mit variierender Scherbenstärke und der Formgebungstechnologie (Gießen und Garnieren) Spannungen aufweist, die die Bruchgefahr zusätzlich erhöhen.


rest geige-schnitt
Literatur

Sachs, Curt, Real-Lexikon der Musikinstrumente, Berlin 1913;
Geigen aus Thon. In: Thonindustrie-Zeitung, Band 12, S. 1, 01. Januar 1888;


Autor

Stefan Drescher
Querstr. 1 OT Niederjahna bei Meißen
01665 Käbschütztal
Deutschland

Online-Artikel unter http://www.keramikrestaurierung.com/keramikgeige.html

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